Das Mittelmeer – seit Jahrhunderten Sehnsuchtsort, Urlaubskulisse, Lebensgrundlage. Türkisblaues Wasser, Zitronen, Orangen, Sonne ohne Ende. Millionen Touristen aus aller Welt, rund 300 Millionen jährlich, pilgern an das Mittelmeer, die Deutschen an vorderster Front. Doch was Urlauber oft nicht sehen: Unter der glänzenden Oberfläche verändert sich ein Ökosystem dramatisch. Das Wasser wird wärmer, die Strömungen schwächer, der Sauerstoff knapper. Was für Badegäste kaum sichtbar ist, spüren Fischer, Küstenbewohner u. Wissenschaftler längst mit voller Wucht.
Ein Wissenschaftler für marine Ökologie bringt es auf den Punkt: „Früher sanken die Wassertemperaturen im westlichen Mittelmeer jeden Winter deutlich unter die zehn Grad, heute liegen sie oft klar darüber. Die Lebensgemeinschaften im Mittelmeer brauchen Kälteperioden für Reproduktionszyklen – u. diese fehlen zunehmend.“ Das hat gravierende Folgen: Wasser mit höherer Temperatur enthält weniger Sauerstoff, besonders flache Zonen drohen zu ersticken. Wenn dann noch Algen vorkommen, die mit Wärme besser klarkommen, entstehen sogenannte Todeszonen. Selbst sesshafte Organismen wie Schwämme u. Korallen können dem Sauerstoffmangel nicht entkommen.
Die Mikroalgenblüten sind nur ein Teil des Problems. Satellitendaten der italienischen Adria zeigen: Anfang Mai 2025 färbten massive Algenblüten Küstenabschnitte von Po-Delta bis Ancona grün. Ursache: Überdurchschnittliche Temperaturen plus starke Niederschläge, die Nährstoffe aus den Flüssen in die Buchten spülen. Ergebnis: Fischsterben, Sauerstoffmangel u. massiver Eingriff in das fragile Gleichgewicht der Ökosysteme. Seegraswiesen, die wie natürliche CO₂-Speicher wirken, sterben ab, u. der Kohlenstoff, den sie gebunden hatten, wird rasch wieder freigesetzt – ein doppelter Verlust für Umwelt u. Klima. Seegras ist besonders effizient: Es wandelt CO₂ in langlebige Zellulose um, die über Jahrzehnte gespeichert bleibt. Wenn Algen die Seegrasflächen überwuchern u. absterben, geht diese Funktion verloren, u. der Kreislauf von CO₂ und Sauerstoff gerät aus dem Gleichgewicht.
Parallel dazu kämpft die Küste Andalusiens gegen einen ungebetenen Gast: die Asiatische Alge Rugulopteryx okamurae. Seit 2015 im Mittelmeer, seit 2016 in Conil, breitet sie sich rasant aus. Fischer berichten, dass mehr als die Hälfte der Flotte kaum noch ausläuft, aus Angst, dass Netze und Boote tonnenweise mit der invasiven Alge gefüllt werden. Die Folge: Verluste in Millionenhöhe. Die Fischerei in Conil verlor 1,5 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr, Schiffe wurden stillgelegt.
Auch in Cádiz leiden die Strände unter der Asiatischen Alge Rugulopteryx. Im Sommer 2024 türmten sich hier rund 1.500 Tonnen Algen, in Tarifa über 11.000 Tonnen. Die Massen behindern den Zugang zum Wasser, verursachen Geruchsbelästigungen u. treiben die Kosten für Reinigung u. Entsorgung in die Höhe. Teilweise müssen die Algen wieder ins Meer zurückgebracht werden, da die Infrastruktur fehlt, sie anderweitig zu verwerten. Diese Entwicklungen zeigen, wie eng das Gleichgewicht von Klima, Meeresökologie u. menschlicher Nutzung miteinander verknüpft ist.
Die Politik reagiert – wie so oft – vor allem mit Konzepten u. Papieren. Die Junta de Andalucía spricht von Kreislaufwirtschaft, von Plänen, die Biomasse zu nutzen, etwa als Dünger für Avocado-Anbau. Doch die Realität an den Häfen sieht anders aus: Fischer mit leeren Netzen, unbezahlten Rechnungen u. fehlender Unterstützung. Madrid u. Brüssel verweisen aufeinander, Zuständigkeiten werden hin- u. hergeschoben. Währenddessen gerät das Mittelmeer immer weiter in Schieflage.
Die Krise ist kein lokales Problem. Sie zeigt den direkten Zusammenhang zwischen Erwärmung, Sauerstoffarmut, Algenblüten u. invasiven Arten. Sie betrifft den Tourismus, bedroht die Lebensgrundlagen der Fischer u. zerstört die natürlichen CO₂-Speicher des Mittelmeeres. Zugleich ist sie ein sichtbares, lokales Symptom des globalen Klimawandels.
Satellitenbilder, wissenschaftliche Studien, Stimmen der Betroffenen – alles deutet darauf hin: Das Mittelmeer befindet sich in einer gefährlichen Schieflage. Die Idylle von gestern, die wir auf Postkarten u. in Reisekatalogen bewundern, gerät unter Druck. Mikroalgen, Rugulopteryx, sterbende Seegraswiesen – sie sind keine isolierten Probleme, sondern Symptome eines größeren, schon begonnenen Wandels.
Das Mittelmeer ist kein ferner Planet. Es ist unser Lebensraum, unser Urlaubsziel, unsere wirtschaftliche Ressource. Es braucht mehr als Konzepte u. Bürokratie. Es erfordert Aufmerksamkeit, sofortige, koordinierte Maßnahmen u. den Willen, das Gleichgewicht zwischen Mensch, Natur u. Wirtschaft wiederherzustellen – um das Mittelmeer aus seiner ökologischen Schieflage zu bringen, bevor es kippt.