Camorro mit Weibchen und Kalb

Einige Orcas in der Straße von Gibraltar haben Segelboote zum Fressen gern. So könnte man ihr neues Verhalten beschreiben, welches sie seit dem Ende des wegen Corona in Spanien verhängten Lockdowns zeigen.

Die erste Interaktion zwischen den Orcas und einem Segelboot erfolgte vor einem Jahr bei Trafalgar. „Interaktion“ ist ein übergeordneter Begriff, den die spanischen Wissenschaftler, die sich zu einer Arbeitsgruppe zusammengeschlossen haben (Grupo de Trabajo de Orca Atlántica), lieber anwenden. Zum einen gilt es Sensationalismus vorzubeugen, zum anderen weiß niemand, ob es nun Angriffe sind, oder ob sie spielen. Wenn man die Berichte der Mannschaften der beteiligten Boote liest, empfinden diese die Interaktionen als Angriffe. Vor allem wenn die Orcas sich im Dunkel der Nacht an Rumpf und Ruder zu schaffen machen, bekommt so manches Mannschaftsmitglied es mit der Angst vor dem Absaufen zu tun. Wobei moderne Segelboote mit GFK und Stahlrümpfen von den Orcas nicht so einfach zu versenken sind, anders als das einzige, von dem so etwas bekannt ist: das der Familie Robertson 1972 bei den Galápagos Inseln, mit einem Rumpf aus Holz.

Die Orcas haben ihren Schabernack nun ein Jahr lang weitergeführt, sie nahmen Segelboote von Gibraltar bis Galizien aufs Korn, der letzte „Angriff“ Ende Juni erfolgte in der Nähe der Straße von Gibraltar, woraufhin das Ruderblatt in Gibraltar repariert werden musste, weil ein Stück abgebissen worden war. Laut britischer Mannschaft waren 30 Orcas mit von der Partie, es gibt aber keine genauen Angaben darüber, ob sich alle an den Ramm- und Beißübungen beteiligt haben. Die Methode ist wie die, die sie für die Jagd auf Groß-Wale anwenden: rammen und Fluke (Ruderblatt) zerbeißen. Wir haben oft beobachtet, wie sie sich unser Heck von unten genau angeschaut haben. Ich gehe davon aus, dass sie sehr wohl wissen, wo die Schwachpunkte bei Booten liegen. Trotzdem hat es laut Arbeitsgruppe nur in 15% der Fälle Schäden zu beklagen gegeben.

Den Anfang haben vor einem Jahr laut der Arbeitsgruppe drei Weibchen gemacht. Eines hatte beim ersten Angriff eine Verletzung am Kopf. Ob diese nun Ursache, oder Folge der Rammaktionen war, wird wohl nie geklärt werden. Den Auslöser für diese bis dato weltweit unbeschriebene Interaktionsreihe von Orcas mit Booten zu finden, macht Wal-Wissenschaftler aller Couleur auf die Schwertwale von Gibraltar aufmerksam.

Mutter mit frischem Kalb

In meinem ersten Artikel darüber vom 29.09.2020 den Sie auf unserer Webseite unter Killerwale (firmm.org)

 nachlesen können habe ich einige Spekulationen aufgelistet, davon werden zwei Kandidaten hin und wieder auch von anderen Experten genannt:

-Ein punktuelles Ereignis als Auslöser, zum Beispiel ein unachtsamer weißer älterer Herr mit weißem Bart, der nicht wissend oder unachtsam durch eine während des paradiesischen Lockdowns ruhende Orca-Gruppe gesegelt ist und dabei ein schlafendes Tier gerammt hat. Die Beschreibung des Täters kommt von einem „Walflüsterer“ der an uns herangetreten ist, dies nur als Quellenangabe. Falls sich der Täter angesprochen fühlt, bitte melden, es würde sehr zur Aufklärung des Rätsels beitragen.

-Allgemeiner Ärger unter den Orcas darüber, dass nach 2 Monaten Lockdown (während dem keine Belästigung durch Sportboote stattfinden konnte und es daher schön ruhig war), der Lärm erneut los ging und ihnen die Ortung von Thunfischen wieder erschwerte. Wegen der größeren Verletzungsgefahr, die von Motorbooten ausgeht, haben sie sich für ihren „Rachefeldzug“ auf Segelboote spezialisiert.

Eine dritte Spekulation aus meinem ersten Artikel mag ich noch nicht ausschließen: Verhaltensänderung durch Toxoplasma. Von Land kommendes Schmutzwasser gibt es ausreichend.

Eine Studie zeigte bei Mäusen, dass bei denen die mit Toxoplasmose infiziert waren, die natürliche und überlebenswichtige Angst vor dem Fressfeind Katze deutlich abnahm. Schimpansen, also große Säugetiere, die mit uns eng verwandt sind, verloren nach einer Infektion mit Toxoplasmose ihre Angst vor ihrem natürlichen Fressfeind Leoparden, wie eine andere Studie zeigt. Aus einem reichhaltigen Datensatz aus mehr als drei Jahrzehnten kontinuierlicher Feldforschung im Masai Mara National Reserve in Kenia leiten Forscher ab, dass sich mit Toxoplasma gondii infizierte Hyänenjungen in Gegenwart von Löwen mutiger verhalten als nicht-infizierte Jungen. Dies erhöhte die Wahrscheinlichkeit, von den Raubkatzen getötet zu werden. Der Parasit erreicht dadurch, dass er vom Zwischenwirt in den Darm der Katzenartigen gelangen kann, um sich dort zu vermehren.

Andere Untersuchungen übertragen diese Möglichkeit der Verhaltensänderung sogar auf den Menschen, sehen einen Zusammenhang zwischen Toxoplasmose und aggressivem Auftreten. Der schlüssige Beweis für Menschen fehlt allerdings noch. Es könnte durchaus sein, dass der Parasit das Verhalten auch bei Meeressäugern beeinflusst, wo es unter solchen, die dem Litoral nahekommen, schon Fälle von Toxoplasma-Infektion gegeben hat.

Ob die Wale sich auf Rachefeldzug befinden oder nur Opfer von Parasiten sind, ändert weder an dem Konflikt der zusätzlich zu dem, der mit den Fischern besteht, entstanden ist, noch an dem Stress durch den ständigen Lärm in ihren Jagdgründen. Leider verlieren meist die Tiere das Rennen, obwohl Orcas in spanischen Gewässern geschützt sind.

Es gäbe Lösungsansätze die in der heutigen, von uns ruinierten Welt, schon utopisch klingen:

-Reduzierung des Lärms, der von der Schifffahrt ausgeht.

-Einhaltung des Whalewatchgesetzes, vor allem des Abstandes von mindestens 60 Metern und des absoluten Verbots sich den Orcas vor der Küste von Algeciras bis San Fernando zu nähern.

-Kopplung einer größeren Thunfischquote für die Fischer von Tarifa an den Schutz der Orcas. Die Einstellung von Stromschlägen und sonstiger Abwehrmethoden der Fischer sollte kontrolliert werden.

Wenn die Orcas danach ihre Angriffe beenden, wüssten wir woran es gelegen hat.

Ineressante Links zum Thema:

Have rogue orcas really been attacking boats in the Atlantic? (bbc.co.uk)

Incredible moment sea captain fights off killer whales with a pole in Strait of Gibraltar | Daily Mail Online

Terrifying moment 30 KILLER WHALES attack British yacht near Gibraltar | Daily Mail Online

 (Am 15.07.2021, Salvamento hilft einem Segelboot, das nach dem Ansturm der Killerwale in der Meerenge trieb – 8directo)

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Tel.:  (+34) 956 62 70 08

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Text u. Fotos : Jörn Selling-Firmm