Die Gesellschaft in Andalusien hat den Ernst der Lage erkannt, am 01.07.2019 wurde in Tarifa eine Tagung von G.A.L.P. (Grupo de Acción Local de Pesca, del litoral Cádiz-Estrecho); Federación de Cofradías de Pescadores de Cádiz und OPP72 (Pescadores de Conil) organisiert.

Dr. José Carlos García Gómez  von der Universidad de Sevilla, erster Wissenschaftler am Mikrofon, erfoscht seit einigen Jahren Rugulopterix. Sie vermehrt sich sowohl asexuell über Sporenbildung -, als auch sexuell über die Bildung von Gameten. Sie kommt in vier Erscheinungsformen daher (vermutlich alles Klone die asexuell entstanden sind) und er befürchtet, dass es schon zu einer Hybridisierung mit der weltweit verbreiteten und verwandten Braunalge Dictiota dicotoma (Gemeine Gabelzunge) gekommen sein könnte, was ihre ohnehin schon außerordentliche Fitness steigern würde (wenn es nicht schon dazu geführt hat, dass die Alge überhaupt so virulent geworden ist) . Das alles muss er aber noch mit genetischen Studien untermauern.

Der nächste Sprecher ist der Fischer Gregorio Linde González. Er bestätigt dass in 40 Metern Tiefe mehr Algen als Fische zu finden sind und sogar Netze aus 400 Metern Tiefe voller Rugulopterix sind. Verantwortlich für den vertikalen Transport von Wassermassen (und Algen) bis in solche Tiefen in der Straße von Gibraltar ist eine Solitonwelle, die an der Schwelle von Camarinal beim Wechsel von Flut zu Ebbe entsteht. 

Die Welle bildet sich in der Trennschicht (in rot) zwischen dem Atlantikwasser, welches an der Oberfläche Richtung Mittelmeer fließt, und dem schweren, kalten und salzreichem Tiefenwasser aus dem Mittelmeer, welches aus der Straße in den Atlantik fließt. Für U-Boote, die mit abgeschalteter Technik unerkannt die Straße von Gibraltar durchqueren wollen, können diese Wellen gefährlich werden, weil sie tauchende Objekte hunderte Meter in der Vertikalen verfrachten können.

An der genannten Schwelle von Camarinal entsteht beim selben Tidenwechsel,  besonders wenn der Tidenhub bei Vollmond und Neumond groß ist, ein Upwelling.

 Das sind Wassermassen die aus der Tiefe aufsteigen. Die Gründe dafür sind in unterschiedlichen Meeresgebieten verschieden, in der Straße von Gibraltar ist es eine Kombination aus Meeresbodentopographie, Strömungsrichtungen und Tiden. Upwellings versorgen das an der Oberfläche (wo Licht ist) lebende Phytoplankton mit Nährstoffen, deshalb war die Gegend schon immer sehr produktiv. Im Fall von Rugulopterix scheint die natürliche Düngung, zusammen mit unseren Nährstoffeinträgen, zur Überdüngung zu werden. 

Dr. Enrique Nebot Sanz von der Uni Cádiz erforscht wie Ballastwasser am besten biologisch neutralisiert werden kann. Vielversprechend für den Dauereinsatz während der Schiffsreise scheint die Elektro-Chlorierung zu sein, bei der mit Hilfe von Strom im Ballastwasser durch Spaltung des Meeressalzes Chlorgas entsteht.

Dr. Féliz López Figueroa von der Uni Málaga informiert darüber, dass Rugulopterix im Jahr 2002 zum ersten Mal in Europa gesichtet wurde, und zwar in einer Austernzucht in Frankreich, wo sie aber nicht zu Problemen geführt hat. Er weist darauf hin, dass die Alge in die Liste invasiver Arten in Spanien aufgenommen werden muss, damit bei den Verwaltungen Hilfsmittel beantragt werden können. Außerdem sollte beachtet werden, dass Algen wertvolle Stoffe enthalten: Antioxidantien, Umweltschonende Färbstoffe, Krebs-Hemmer und Immunstärkende Substanzen (als Futterzusatz in der Aquakultur).

Danach erzählt der Hafenkapitän von Algeciras, Julio Berzosa Navazo, von den Erfolgen und Misserfolgen bei der Inspektion des Ballastwassers der 26.000 Schiffe die jedes Jahr in Algeciras anlegen. Bei mehr als 100.000 Schiffen pro Jahr in der Meerenge, ist die Kontrolle eine Mammutaufgabe.

Letzter Redner ist Antonio Vergara Jiménez vom SEPER-Tarifa (Sección de Educación Permanente de Tarifa). Er hat mit seinen Kursteilnehmer/innen erste Hautcremes auf der Basis von Rugulopterix hergestellt. Die Alge enthält Fucoxanthine und Diterpene, beides medizinische Wirkstoffe.

In Betijuelo (in der Nähe von Tarifa) erprobt ein Architekt die Alge als Baumaterial. Für die Nutzung an Menschen eignen sich die lebenden Algen die im Wasser treiben und von Netzen mitgefischt werden. Die abgestorbenen Algen könnten immer noch zu Landwirtschaftsdünger verarbeitet werden. Während des anschließenden runden Tisches wurde klar, dass es nicht die eine Lösung für diese Umweltkrise gibt. Es gibt genügend Beispiele von aus dem Ruder gelaufenen Arteneinführungen: die Zebramuschel (Dreissena polymorpha) die mittlerweile auf dem halben Globus Wasserleitungen zuwächst und die Shanghai-Krabbe (Eriocheir sinensis) sind zwei berühmte Fälle.

Alle sind sich einig, es ist eine Krise die von allen Teilen der Gesellschaft bekämpft werden muss:

    1.  Es sollten Biodiversitäts-Hotspots definiert werden, an denen es sich lohnt die Algen vom Meeresboden zu pflücken.
    2.  Die angeschwemmten Algen müssen von den Küsten entfernt werden, zumindest dort wo man mit Maschinen Zugang bekommt.
    3. Die Forschung sollte zielgerichtet und koordiniert stattfinden, denkbar wäre abstoßende Substanzen zu entwickeln, die ein Ansiedeln der Algen auf den Almadraba-Netzen verhindert.
    4.  Pilotprojekte zur Nutzung und Entfernung sollten gefördert werden.
    5.  Fischer könnten in einer neu entstehenden Verwertungskette angestellt werden oder ihr Verdienstausfall müsste kompensiert werden, mit Geld oder einer größeren Fischereiquote in andern Bereichen.

Nun haben wir vor unserer Haustür ein weiteres Beispiel für die Folgen, die unser Eingreifen in die natürlichen Kreisläufe haben kann. Je mehr wir verändern, um danach korrigierend eingreifen zu müssen, desto mehr müssen wir die Ökosysteme aktiv managen, womit unsere Verantwortung immer weiter wächst. Als Kind lernte ich noch in der Schule wie unermesslich die Ressourcen der Ozeane sind, jetzt drohen sie zu kippen, wobei eingeschleppte Arten nur eines der vielen Probleme sind. Werden wir in der Lage sein der Verantwortung gerecht zu werden? Aufgabe der Wissenschaft ist es die Probleme zu benennen und mögliche Lösungen aufzuzeigen, sowie dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft die Folgen von Fehlentscheidungen zur Kenntnis nimmt. Das Zeitfenster für den Erhalt unserer Spezies schließt sich immer weiter und es gibt immer noch zu viele, die von der Wissenschaft nur das annehmen, was ihnen in den Kram passt!

Ende 

Quelle-Fotos:  firmm España- Jörn Selling www.firmm.org